Treibholz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Holz drehte sich im Strudel, tauchte unter. Die Gewalt des braunen Wassers stieß es wieder vorwärts. Sie sah ihm nach. Es schwamm jetzt geradeaus, schlug an einen Stein, der senkrecht aus dem Bachbett herausragte und blieb liegen. Sie stand auf. Sie trat ans Ufer. Langsam setzte sie sich nieder. Gedankenlos hob sie Sand auf, ließ ihn zwischen den Fingern zerrinnen. Die Sonne blendete ihre Augen. Das Holz schlug von der Strömung bewegt gegen den Stein, ohne dass es sich befreien konnte. Sie weinte. Die Sonne wurde von einer Wolke überzogen. Ein Windstoß fuhr durch die Bäume am Ufer. Sie zog ihre Sandalen aus und ließ ihre Beine ins Wasser hängen. Es umspülte ihre Füße. Der Bach gluckste und rauschte und schlug gegen das überhängende Ufer. Das Holz schwankte immer noch an dem Stein und konnte sich nicht befreien. Sie wollte nicht mehr denken, nicht mehr an sich selbst und nicht mehr an die Sache. Die Wolke vor der Sonne zog weiter. Sie weinte jetzt nicht mehr .Die tränen trockneten und hinterließen Spuren auf der Haut.

 

Sie wischte sie nicht ab, sie spürte sie nicht einmal. Ihre Gedanken ließen sich nicht verdrängen. Sie kehrten immer wieder in ihr Bewusstsein zurück. Warum war das alles geschehen? Warum? Sie fand keine Antwort. Warum war es mit ihr geschehen, warum mit ihr?

 

Ein anderes Brett schwamm drehend und taumelnd im braunen Wasser .Es trieb so nahe an ihr vorbei, dass sie es fassen konnte. Sie zog es zu sich hinauf. Sie wusste nicht warum sie das tat. Sie betrachtete das Brett und warf es zurück in den Bach. Es klatschte auf der schmutzigen Fläche auf und wurde fort getrieben.

 

Sie erinnerte sich wie alles angefangen hatte. Ein Wort nur und es war alles vorbeigewesen. Ihre Freunde hatten sie verlassen. Freunde? Gab es Freunde? Es war ein „Freund“ gewesen, der sie verriet, der sie verleumdete.  Ihr schien eine Welt zusammengestürzt zu sein. Warum nur? Warum das? Sie hatte nichts Unrechtes getan, ihr Verräter wusste das.

 

Ein Windstoß trieb lose Blätter auf und weht sie ins Wasser.

 

Und  dann? Dann war sie einsam , ausgestoßen. Sie hatte keine Schuld am Unglück der anderen. Aber das wollte ihr keiner glauben. Selbst die nicht, die sich einmal ihre Freunde genannt hatten. Sie hatten sie vergessen.

 

„Nein!“ sagte sie sich  und noch einmal : „Nein!“  Sie wusste, dass sie unschuldig war - unschuldiger als ihre Ankläger. Sie wollte nicht aufgeben, sie wollte leben.

 

Das Holz an dem Stein wurde von einem treibenden Ast befreit und schwamm eilig den Bach hinunter.

 

 

geschrieben im Alter von 15 Jahren

1970

© gbremer 2001

 

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